Wenn der Bürgersteig nicht schlafen will!

Wir befinden uns in Kleinträumersdorf. Das ist ein kleiner Ort,  ungefähr zwischen Berlin und Wanne-Eickel. Dort träumen die Leute und die Kinder besonders gern und besonders viel und besonders schön. Nur einer schläft und träumt dort überhaupt nicht gern, wenn die Hochklapper kommen. Es ist der Bürgersteig vor dem Haus von Familie Müller.

In Kleinträumersdorf werden nämlich abends die Bürgersteige hochgeklappt. Denn auch Bürgersteige werden mal müde und müssen schlafen. Und sie schlafen dann im Stehen.

Aber immer, wenn abends die Hochklapper mit ihren Stangen zum Haus von Familie Müller kommen, weigert sich der Bürgersteig und macht sich ganz breit und schwer. „Nein, meine Herren“, sagt er dann zu den Hochklappern, „ich bleibe heute liegen“.

Als die Hochklapper um die Ecke verschwunden sind, macht sich der Bürgersteig vor dem Haus der Familie Müller noch etwas breiter. Jetzt hat er die Nacht für sich.

Aber so ganz stimmt das nicht, denn über dem Bürgersteig ist das Zimmer von Felix und Susi. Und die wollen meistens noch nicht schlafen, auch wenn Mama und Papa schon lange gute Nacht gesagt haben. Darauf wartet der Bürgersteig immer. Oft liegen die Kinder wach im Bett, knipsen das Licht wieder an und erzählen sich Geschichten. Wenn das Fenster offen ist, kann der Bürgersteig besonders gut zuhören. Kindergeschichten mag er nämlich sehr.

Plötzlich öffnet sich die Haustür, und Herr Müller kommt heraus, um Abfall in die Mülltonne zu werfen: „Ach, der Herr Bürgersteig will noch nicht schlafen? Waren die Hochklapper noch nicht da?"

„Doch, doch“, sagt der Bürgersteig leise, „aber ich schlafe lieber im Liegen und höre mir vorher Geschichten an.“

“Wer erzählt Ihnen denn Geschichten?”, will der Vater wissen.
“Och, das sind zwei gute Geister”, sagt der Bürgersteig. Und er muss schwer aufpassen, daß er sich nicht verplappert. Denn Felix und Susi würde er nie verraten. Sonst hätte er ja abends keine Geschichten mehr...


© Matthias Hoppe