Kids & Teens

Der kleine Besuch

Sebastian saß in seinem Kinderzimmer und schaute aus dem offenen Fenster. Draußen war herrliches Wetter. Soll ich auf den Spielplatz gehen?, überlegte er. Ach nein, heute bin ich faul. Vielleicht morgen.
Während er noch aus dem Fenster schaute, flatterte plötzlich etwas ins Zimmer herein, knapp an seinem Ohr vorbei. Es war ein Schmetterling. Seine Flügel waren unten schwarz, und auf der Oberseite hatten sie bunte Tupfer.
„Mama, ich hab' Besuch!“, rief Sebastian ganz begeistert, „komm mal her!“ Mama kam aus dem Wohnzimmer: „Na, wer besucht dich denn? Ich habe gar nicht gehört, dass es geklingelt hat!“ Sie schaute sich in Sebastians Zimmer um und schmunzelte: „Ich sehe niemanden! Du hast geflunkert.“
„Nein, schau doch mal“, sagte Sebastian und zeigte auf den Schmetterling, der jetzt an der Decke entlang flog. „Ach der arme“, meinte Mama, „der hat sich verirrt. Aber er ist wunderschön.“
„Darf ich ihn behalten?“, fragte Sebastian, „ich füttere ihn auch.“
„Weißt du denn, was Schmetterlinge fressen?“
Sebastian grübelte: „Vielleicht Haferflockenkrümel?“
„Nein“, lachte Mama, „Schmetterlinge brauchen Blütennektar, also den Saft aus Blumen.“
„Dann kaufen wir halt immer ganz viele Blumen und stellen sie in meinem Zimmer auf!“, meinte Sebastian.
„Ach, Bub“, meinte Mama, „überleg doch mal: So ein Schmetterling braucht die freie Natur. Außerdem: Vielleicht hat er eine Familie oder will eine Familie gründen. Und Freunde hat er bestimmt auch. Da dürfen wir ihn doch nicht bei uns in der Wohnung einsperren! Wir müssen versuchen, dass er das offene Fenster findet und wieder hinausfliegt.“
Mama nahm ein Stück Pappe und wedelte damit in Richtung Schmetterling. Aber der wollte einfach nicht zum Fenster fliegen, sondern flatterte jetzt an der Wand entlang. Da kam Mama eine Idee. Sie holte aus der Küche ein großes Trinkglas und wartete darauf, dass der Schmetterling mal irgendwo sitzen bleiben und sich ausruhen würde. Und tatsächlich: Er machte eine Pause mit seinem Geflatter und saß ganz still auf der Tapete. Mama nahm das Glas, stülpte es über den Schmetterling und hielt es an der Wand fest. Jetzt war der kleine Flattermann gefangen. Aber nicht lange. Mama hob das Glas ein bisschen an und schob die Pappe vorsichtig zwischen Glas und Tapete. Dann nahm sie alles und ging damit zum offenen Fenster. Sie hielt das Glas nach draußen und hob den Pappendeckel hoch – und der schöne Schmetterling flatterte in die Freiheit. „Mach's gut, Schmetterling!“, rief Sebastian ihm hinterher.
„Siehst du“, sagte Mama, „jetzt haben wir eine gute Tat getan. Wir haben einem kleinen Tier das Leben gerettet. Seine Familie und seine Freunde freuen sich bestimmt riesig!“
„Und ich auch“, sagte Sebastian und strahlte.

 


© Matthias Hoppe